Dirkmarkus Lichtenberger
UNCED ECO 92 Brasilien Nachhaltig
Nachhaltige Reportagen und Erlebnisse
zwischen Sao Paulo, Jericoacoara und Altamira Xingu

Dirkmarkus Lichtenberger
UNCED ECO 92 Brasilien Nachhaltig
Nachhaltige Reportagen und Erlebnisse
zwischen Sao Paulo, Jericoacoara
und Altamira Xingu Transamazonica

Analog Agroforestry Ernst Goetsch Bahia Kakao Permakultur
Dirkmarkus Lichtenberger
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Fazenda Fugidos der Familie Goetsch,
Pirai do Norte bei Gandu / Bahia

Nach einem Strandurlaub auf der Insel Morro de Sao Paulo, auf der wir den Flair des autolosen Ibizas vor den Zeiten des Massentourismus genossen, südlich von Salvador de Bahia, nahmen wir von Valenca aus einen Bus, der uns nach vier Stunden zur Fazenda brachte. Es genügte, dem Busfahrer zu sagen, wir wollten zu dem Schweizer mit der verrückten Mischung Kakaobäume, und man wußte, wo wir auszusteigen hatten. Die Leute im Bus hielten mich für seinen Bruder.
Im Rahmen meiner Spendeninitiative REGENBOGEN ÜBER SÜDAMERIKA spendeten wir 1992 2000 DM als Stipendium für einige Indios, die Ernst Goetschs Methode der dynamischen Ackerbaumpflanzungen Analog Agroforestry erlernen wollten.
... Ernst Goetsch grüßt, betritt die Pflanzung, um einige Schritte weit zu laufen und das morgendliche Werk seines Lehrlings zu begutachten. Ohne großes Verweilen zeigt er dem Neuling, worauf es bei der Reinigung des Waldes ankommt. Zwischendrin fragt er ständig: „Was haben wir hier? Welcher Baum ist jenes? Und hier und dort?“
Der arme Waldarbeiter muß eine Vielzahl für ihn sichtlich neuer Namen über sich ergehen lassen, die er brav zu wiederholen versucht.
„Die Bananenblätter werden nur entfernt, wenn sie wirklich ganz trocken sind!“ spricht’s und zerschlägt ein großes Blatt mit der Machete in der Luft in kleine Stücke. „Die Stämme der Banane müssen halbiert werden. So kann überall Luft eindringen und die Verrottung verläuft mit Sauerstoffzufuhr. Andernfalls fände in der Mitte des Stammes eine anaerobe Gärung statt. Bei diesem Faulen entstehen Säuren, die wiederum nicht gut für unsere Kameraden der Zukunft sind.“
Schon ist er ein Stück weitergeeilt und hat im Vorbeilaufen einige Säuberungshandgriffe vollzogen. Wieder fragt er den Landarbeiter, ob er diesen oder jenen Baum kenne. Um nicht ganz dumm dazustehen, versucht dieser wenigstens einen falschen Namen zu sagen als den Eindruck zu erwecken, er sei gänzlich unbedarft.
Der Job der Waldarbeiter in Ernsts Farm ist anspruchsvoll und erfordert Lernwillen und Lerneifer. Dann bindet Ernst liebevoll eine kleine Schlingpflanze, die sich bereits um ein Stämmchen gewunden hat, so fest, daß sie senkrecht weiter hoch wächst. „Das ist Pimento, Pfeffer, er braucht diese Behandlung, um gut zu gedeihen. Andernfalls würde er eingehen.“
Ein bereits hochgewachsener Baum wird in seiner Rolle erklärt: „Dieser da hat seine Aufgabe erfüllt als Pionierpflanze. Wir fällen ihn und nehmen ihn heraus.“ Ernst führt vor, wie einer alleine den Baum so geschickt mit der Machete bearbeiten kann, daß dieser in mehreren Schritten zu Fall gebracht wird, ohne daß andere Bäume, etwa die Palmen mit ihren breiten Blättern, Schaden leiden. Wie anders nimmt sich die Urwaldriesenfällung mit der Motorsäge am Amazonas aus, wo ohne Rücksicht auf Verluste zerstört wird ohne Wiederaufforstung. Die Verantwortung des Angestellten ist groß, das Richtige zu treffen und nicht die falschen Kandidaten zu entfernen, die für eine gesunde Weiterentwicklung der Waldgemeinschaft gebraucht werden. Als Ernst sieht, daß der Arbeiter beim Zerkleinern einiger Äste achtlos auch benachbarte Stämme an ihrer Basis verletzt, wird dieser gleich darauf aufmerksam gemacht, daß er mehr Obacht geben muß und die Bäume nicht verletzen darf, da sie das schwächt. Man muß also immer wach dabei sein und kann nicht träumen ...
Ernsts und Renates sechsjährige Tochter Gudrun, deren Geschwister Mathilde und wohl Bananen trocknen helfen mußten, spazierte mit uns durch die Plantagen und plauderte lebhaft. „Diese Pflanze ist gegen Frieren, aber diese hier im Aufguß hilft noch besser. Hier die heißt ... (ich kann mich jetzt nach der Wanderung nicht mehr des Namens erinnern). Sie hilft gegen die Entzündung, wenn du barfüßig gelaufen bist und in den Kot der Raupe mit gleichem Namen getreten bist. Das ist Guara´na, die ist giftig, aber Guarana´ kann man trinken.“ Habe ich mir diese ethnobotanische Feinheit richtig gemerkt? Unterwegs entdeckt sie immer neue Bäume, auf die es sich klettern läßt. Geübt mit Klammer- und Rutschbewegungen, ohne Scheu vor Rutschen, mit kräftigen Armen geht es hinauf und hinab. Oben angekommen läuft sie wie eine Katze den Ast hinaus – und das weit über dem Erdboden. Oder sie setzt sich gemütlich ins Geäst und ruht sich halb liegend wie unsereins im Sessel in der Krone aus. Einmal muß ich sie schleunigst herabholen, weil eine Kolonie kleinster bißwütiger Ameisen, deren Bisse eine Viertelstunde lang kräftig schmerzen, auf einem Ast versteckt war und sich gleich auf den übermütigen kleinen Eindringling gestürzt hatte. Da gab es ein kurzes Klagegeschrei, und, nach dem ersten Schreck wieder erholt, behalf sie sich mit Spucke, da kein Wasser in Pfützen oder Bach in der Nähe war.
Zur Verköstigung bietet sie uns Eßblumen an. Die eine Sorte mit den fünf herzförmigen Blättchen der Blüte und dem langen Sporn haben wir bereits gestern kennengelernt. Welche Farben am besten schmecken sollen, habe ich leider vergessen. Eine besondere Delikatesse ist die Propellerblüte, deren freie Zipfel süß und deren Kronröhren säuerlich schmecken. Einmal springt sie ins Gebüsch und verlangt zurückgekehrt nach meinem Taschenmesser. Jeder von uns erhält ein Drittel einer rundlichen Frucht mit Stachelbeergeschmack, deren Aufbau aber an Gurken erinnert. Bananen gibt es natürlich im Überfluß. Abakatschis sind leider noch nicht ganz reif. Ich behauptete, eine dieser stacheligen Rosettenpflanzen mit drei Früchten gesehen zu haben. Nein, das sei ausgeschlossen; was ich denn meinte. Ich beschrieb das Phänomen genauer. Zwei dieser vermeintlichen kleinen Ananasfrüchte hätten eigentlich eher wie Knospen ausgesehen. „Nein, das sind keine Knospen, sondern Jungtriebe. Die kannst du auspflanzen und es wächst viel schneller eine Pflanze, die Früchte trägt, heran.“ Zwischendrin planscht sie zur Erfrischung in einem Bach. Zehn Meter bachaufwärts waschen Frauen ihre Kleider.
Zum Schluß sind wir hungrig und müde. Meine Füße schmerzen nach dem ungewohnten langen Barfußlaufen auf dem Asphaltweg. Wir versuchen aus Palmenblättern Schuhe zu basteln. Doch die Blätter selbst reißen zu leicht in einzelne Streifen. Gudrun hat den Einfall, mehrere Stielstücke nebeneinander zu legen und als Sohle zu benutzen. Diese Konstruktion erscheint vielversprechender zu sein. Doch da ich im Gegensatz zu ihr, die die trockenen Blattfasern als Schnur nimmt, keine geeigneten Bindemittel finde, verliere ich die Schuhsohlen gleich wieder.
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Erste Blasen und Schürfwunden unter meinen Füßen melden sich. Zum Glück können wir mit einem Nachbarn fahren, der am Rand des Weges für uns hält. Wir befragen ihn zu den Pflanzungen des Schweizers. „Ja, sein Kakao ist viel zu dünn. Er pflanzt so dicht, daß der Kakao zu wenig Licht bekommt und deswegen nach oben schießt. Schauen Sie sich mal unsere niedrigen Büsche an; die lassen sich auch abernten. An diese oberen Früchte dieser Stangenbäume kommt man ja gar nicht mehr heran.“
Er hält extra an, um uns zu zeigen, was er mit den in seinen Augen Mißwüchsigen meint. Als wir einwerfen, daß der Schweizer mehr erntet als andere – auf die Effektivität der qm bzw. des Baumes bezogen – , entgegnet er beinahe wütend, daß er das nicht glaube. A., meine Begleiterin versucht es mit der Schönheit der Pflanzung ... Doch er erwidert bloß: „Ja, ja, das ist Ökologie, aber es bringt nichts ein.“ Vor dem Aussteigen lädt der Fazendeiro namens Raimondo (?) uns nachdrücklich zu einem Besuch bei ihm ein. Gudrun will so schnell wie möglich wieder aussteigen, denn sie ist ganz mißmutig ob der Kritik geworden. Sie lebt in dieser Schönheit wie in einem Garten, für sie ist es ein Spielplatz. Überall vermag sie etwas Schönes neu oder wieder zu entdecken. So ruft sie oft: „Das sind wieder die Erythreen, die so herrlich rot leuchten.“
Sie werden im staatlichen Kakaoforschungsinstitut mit Kakao in Mischkultur angebaut – als N-Sammler und Schattengeber. Gudrun sammelt für mich eine große Portion abgeworfener Blüten und bedauert jede, die in den Schlamm oder auf die staubige Straße gefallen ist ...

Die Treppe des brasilianischen Waldgeistes Jaboti, Affenleiter-Liane, Bauhinia Diabetes ohne Insulin

... ein Anthropologe aus Botucatu und ich spazieren ins Gespräch vertieft, es geht um Ethnobotanik, den unteren Weg der Fazenda Fugidos des Waldmeisters Ernst Götsch entlang, um einen kleinen Ausflug in ein Stück Urwald am Hang zu unternehmen ...
„Immer mehr Forscher sind unterwegs, um Arzneipflanzen zu sammeln und sie lassen sich von den Einheimischen den Namen und ihre Verwendung sagen“, beginnt er.
„Ich halte das zum großen Teil für tote Museumsforschung. In wissenschaftlichen Facharbeiten wird eine ungeheure Datensammlumg angelegt, die einmal mehr in den Bibliotheken verstaubt. Es reicht nicht, Pflanzen zu herbarisieren und ein paar Namen zu schreiben. Die Pflanzen müssen in ihrer Umgebung beobachtet, angepflanzt und in ihren Ansprüchen untersucht werden, wie es unser Waldmeister hier in seinen Plantagen macht.“
„Ja, du hast recht“, stimmt er mir zu.
Ich fahre fort: „Interessant ist es, daß in verschiedenen Regionen weniger allgemeinbekannte Pflanzen verschiedene Namen tragen. Jeder Name ist ein anderes Stück Weltsicht und hebt vielleicht einen anderen Charakterzug hervor. Zudem muß es früher viele Experten der Namenswissenschaft gegeben haben. Erstaunlich. Die dichtenden Naturkenner und Therapeuten waren folglich Poeten, die einen individuellen Standpunkt eines Gebiets verkörperten.“ ...

Neben der Farm FAZENDA FUGIDOS von Ernst Goetsch hat inzwischen eine ehemalige deutsche Entwicklungshelferin die Öko-Farm FAZENDA JATOBA als Schulungsort für Permakultur begründet.

(C) 1992, 2002, 2013 by Dirkmarkus Lichtenberger
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