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Für Augusto Boal

Dirkmarkus Lichtenberger
Nachhaltige Sprachgemälde aus der Reportage
Brasilien UNCED 92 ECO
Morro de Sao Paulo
Rio de Janeiro
Brasilia
Salvador de Bahia

Dichten am Meer der Insel Iha de Tinhare
Erinnerungen ans Mädchen Garatoa de Ipanema
Zukunftszivilisation der Toten
Radio Occulto Brasilia
Touristenflirt mit Sprachfehler


Traumreise nicht gewonnen, Traumimmobilie Jericoacoara versäckelt
KOHLENSTOFF-KREISLAUF, AGROFORESTRY & NACHHALTIGKEIT
(Inzwischen Nachruf auf eine Reise, die ich noch machen möchte, solange der Ceara nicht mit Uran für AKWs und Atomwaffen verseucht ist.)

Im Jahr der UNCED 1992 ECO 92 Rio
unternahm ich von April bis September eine sozialökologische Expedition in ein Land der Zukunft. Als Mitbegründer der Spendeninitiative Regenbogen über Südamerika überbrachte ich drei Organisationen die im Schwarzwald gesammelten Fördermittel. Diese erhielten die Assoziation Monte Azul in Sao Paulo für ihre Sozial- und Kulturarbeit in Favelas, das Schülchen der Kleinen, Escolhina dos Pequenos in Mirantao (Minas Gerais), und Ernst Goetsch auf seiner Fazenda Fugidos (Urwald-Regenerationsprojekt Pax et Silva) in Pirai do Norte (Bahia) als Stipendium für Indios, die in der Analog Agroforestry Methode des Schweizer „Waldmeisters“ ausgebildet wurden.

2002 zum Weltgipfel RIO+10
gebe ich Erlebnisse meiner 1992 durchgeführten sozialökologischen Studienreise von Sao Paulo bis Amazonien in einer Folge von Reportage-Texten heraus. Zehn Jahre nach Rio gewinnen sie umso mehr Brisanz und Aktualität. – Auch Brasilien bietet zur Zeit äußerst bewegende Szenen: Im November finden Wahlen statt. Um Brasilien zu einem der beliebtesten Naturreiseziele der Welt zu machen, investiert die brasilianische Regierung Gelder im Werte von 2,5 Milliarden EURO, um fast 100 Gebiete für Ökotourismus zu erschließen. Internationale Abkommen zum Schutz der Wälder erfordern vielfältige interkulturelle Dialoge. Brennendste Punkte in Amazonien werfen existentielle Fragen hinsichtlich einer nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzung auf. Allein in Sao Paulo sollen (müssen) über eine Millionen Kinder allein auf der Straße leben ...

STIPENDIUM, SPENDEN, AUFTRAGGEBER
Ich suche nun (2002) Sponsoren, Mäzene & Auftraggeber, die meine neue Forschungsreise finanziell unterstützen. In erster Linie sind zwei Studienaufenthalte bei Waldregenerationsfarmen geplant: Die ÖKO-FAZENDA JATOBA beherbergt eine Mitarbeiterin des Internationalen Zentrums für Permakultur Bahia. Deren Leiterin und Begründerin hat uns eingeladen. Im Kakaoanbaugebiet im Süden von Salvador de Bahia hat in ihrer Nachbarschaft auf der FAZENDA FUGIDOS ein Schweizer Agronom seit 15 Jahren ein einzigartiges und vorbildhaftes Regenerationsverfahren entwickelt, um zerstörte Böden zu heilen und eine dynamische Sukzessionsmischkultur mit Frucht- und Nutzbäumen, Gemüse und Obst anzupflanzen.

Ich möchte dort mit meiner Ehefrau Siri Silke Lichtenberger Methoden nachhaltiger Landwirtschaft (Agroforestry & Permakultur) erlernen. Ein weiterer Besuch wird in Botucatu (Sao Paulo) bei der ASSOCIACAO BRASILEIRA DE AGRICULTURA BIODINAMICA vorbereitet. Hier befinden sich u.a.: Die Wiege des biodynamischen Landbaus in Südamerika, eine Ausbildungsstätte, die Demeter-Lizenz-Vergabestelle, ein ökonomisch autarkes Waldregenerations-Unternehmen, das soziale Arbeitsplätze schafft und ein effektives Modell für Investoren darstellt, weitere Farmen mit ethischen Investments als sinnvolle Kapitalanlagen aufzubauen. Außerdem stelle ich Kontakte mit Brasilianern her, die T. Higas Polykultur-Methode der Effektiven Mikroorganismen (EM) und die Technik des vedischen Agni Hotra Feuerrituals erforschen. Über diese vier Themen sowie sicher zu erwartende Überraschungen werde ich eine Reportage verfassen, die auch Aspekte eines sanften Öko-Tourismus und der nachhaltigen Ökologisierung des Kohlenstoffkreislaufs betont. Für circa sechs Monate benötigen wir ein Stipendium bzw. Spenden.

Elzach, im August 2002
           
 Dirkmarkus Lichtenberger

Nachtrag 2013
Meine zweite Forschungsreise und geplante Reportage LAMBADA ZU DRITT ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Publikation von 1992 wurde vertagt ...
Augusto Boal, dessen Theater der Unterdrückten ich in einigen Didaktik-Workshops erprobte, ist inzwischen gestorben, Präsident Lula ist abgewählt, ich kenne aus dem Internet einige brasilianische Sängerinnen (Elba Ramalho, Yvete Sangalo, Maria Joao, Gal Costa ... +++) und habe einen mit Gesang und Gitarre musikalisch unterlegten Tanz-Satire-Clip mit GENGUERILLA gedreht ...

Meine Ehefrau Siri Silke Lichtenberger und ich ziehen vom Ossi-Basislager Amzion7 in der Lausitz in die Algarve, um in Süd-Portugal am Atlantik eine sozialökologische Forschungsstation aufzubauen.
Die alte Burg von Castro Marim kennen wir schon von früher. Heinrich der Seefahrer und der Christusorden haben dazu beigetragen, daß ich 1992 per Flugzeug nach Brasilien und zurück nach Waldkirch und Hamburg gelangte.
Die Veröffentlichung meiner nachhaltigen Reportagen aus Brasilien 1992  abseits von UNCED 92 Eco erfolgt erstmals im Februar 2013 im Internet! (update 2013-11-02: Nach einem Hacker-Angriff im Februar und Mai 2013 nun Relaunch) 


morro-de-sao-paulo-ilha-tinhare-valenca-brasil-ibiza-dirkmarkus-lichtenberger-1992
1. Szene

Dichten am Meer der Insel
Morro de Sao Paulo Ilha Tinhare


Astronaut in den Ur-Elementen - Wellenbeschreibung - Friedenswille - Freiheitsauftrag

Ein Mann mit Regenrohr kommt auf die Bühne.
Regen- und Wellen, Brandung, Wasserrauschen usw. Er spricht:


Astronaut in den Ur-Elementen

Kennzeichen der Ur-Elemente: Wie das Atmen des Menschen sind sie unaufhörlich da, immer in Tätigkeit: Der Himmel kann nicht plötzlich weg sein, das Meer kann nicht Ebbe, Flut, Wellen und Gischt einstellen und bei Bedarf wieder holen. Es ist oder es ist nicht und dies entweder immer oder gar nicht. In ihrer Beständigkeit sind sie dem unbeweglichen unveränderten Felsen gleich.
Jetzt gerade ist das Meer in Unzufriedenheit, düsterer schlechter Laune, denn über ihm steht ein dicht verhangener grauer Wasserdunst, der nahezu homogen ist; weiter oben ist er heller, durchlässiger, vibrierender: es kann höher und weiter in die Welt gehen, zum Horizont wird er fest, unbarmherzig - das Ende der Welt. Am Strand liegen die Elemente bestens geschieden vor: Der Blick wandert von Sand über Wasser bis zum Himmel, von diesem hoch zurück zum eigenen Standort; dabei fühlt sich der Mensch klein, wenn er seinen eigenen Körper betrachtet und in Relation zu diesem Raum um sich setzt; aber wie riesig wird er, wenn er sich als Kreuz vorstellt, das zunächst flach auf dem Wasser liegt mit seinen  beiden Armen auf der Horizont-Linie. Dann richtet er sich auf, streckt die Armen zu beiden Seiten und überstreichelt mit seinen Händen das Meer. Sein Kopf reicht in den Himmel. Er umfaßt die Rundung der Erdkugel. In dieser Geste vergißt er die eigene Verankerung am Strand und hält plötzlich die ganze Erde in der Hand. Er sieht weiter als zum Horizont. Er wird zum Wellen-Astronauten, der nicht nur schaut, sondern handeln kann als Geist des Universums mit Göttermacht. Jetzt springt er hinab ins Blau des Wassers. Er ist nichts als Wasser und fühlt sich an allen Küsten und allen Tiefen, Oberflächen der Weltmeere und in jedem Regentropfen zugleich. Der alte Meergreis Proteus freut sich, von ihm erkannt zu werden. Die waagerechte Linie, die sich seitlich krümmt, lädt ein: Spaziere auf mir entlang als kosmischer Seiltänzer. Sie ist die zum Überschreiten ins Dahinter lockende Grenze: Die Geburt des Seefahrers, des Weltforschungsreisenden beginnt mit einem Punkt auf dem Ende des Meeres, wohin sich die Betrachtung versetzt, auf sich selbst zurückschaut und sich fragt, wie sie dahin käme.
Der Mann macht erneut einige Geräusche mit dem Zauber-Rohr.


Wellenbeschreibung

Die Farbe des Meeres wechselt stark atmosphärenabhängig; jetzt ist es grünlich dunkel bis grau. Am Horizont sind Schauer zu sehen, die von der Wolkenbank in Strahlen abwärts gehen.
Die Wolken ziehen so schnell auf, daß es einen wundert, da keine Bewegung zu sehen ist. Im Süden sind blaue Himmelsreste.
Über eine gewisse Breite erhebt sich eine Welle, d. h. eine Erhebung. Es wie ein Wall, der wandert und beginnt, sich zu einer Spitze umzuwandeln. Eine Wand steigt hoch, verliert das vertikale Gleichgewicht und stürzt strandwärts.
Das Schönste an ihrer Architektur ist der Bogen, der beim Umschlagen entsteht. Es gibt übermütige Wellen, die es nicht abwarten können, sich in weißer Gischt zu versprühen. Andere steigen hoch und laufen weiter, den unvermeidlichen Fall immer weiter hinauszögernd, fast scheint es, die ewig dynamische Bewegung mit höchster potentieller Energie sei entstanden ... dann ereilt sie ihr Schicksal.

W: Ich umspüle dich und lasse dich, wie du bist: In meiner Umarmung werden wir eins und ich werde wie du.
F: Ich steh dir im Weg und lasse dich an mich, so nah du willst. Mein Widerstand ist deine Stütze. Durch dich erfahre ich das Außen.
W: Ich bin zart, doch mit ureigenster Kraft. Wer starr bleibt, den umschließe ich ganz und mache ihn zu meinem Inneren. Sanft, beständig zuweilen mit meiner Stärke spielend, überlache ich mit meinem Rauschen verbissene Schroffheit.
F: Ich genieße dein unerschöpfliches Werben um mich. Du schenkst mir unaufhörliche Beachtung und verwandelst deine behäbige Masse in die feinste Gestalt des Liebe sprühenden Schaumes.
W: Deine großmütge Rechtschaffenheit, nichts zu fordern, schleudert mich in die Lüfte und im Hinüberfliegen flüstere ich dir zu, was ich an dir entdeckt habe.
F: Du eilst im er fort, und ich habe keine Hände, dich zu halten. Ach, in deiner Freiheit zu schweben, ist mir versagt. So bleibe ich denn hier, deine Geschwister werden’s mich lohnen mit neuen Geschenken deines Frohmuts.
W: Du bist, wo ich werde. Ich werde, wann immer du bist. Dein Weg ist das Ende und meiner der Anfang. Du Form der Formen. Ich folge dir immer und verlaß dich nicht.

Die Luft im Raum ist sehr gerührt ob der Zweien Gespräch und spricht:
Ihr bescheidenen Kinder von Mond und Erde. Mein frischer Atem soll euch im Streite kühlen. Eure Bande will ich mit inniger Andacht füllen.

Wärme, die in allem thront, verkündet strahlenklar:
Ihr seid jeweils ein gutes Paar. Und wie die Luft euer Trauzeuge ist, bin ich euer Pfarrer.

Die Wogen schlagen an die Felsen und türmen sich zu Gebilden auf, die phantastischen Tieren und Pflanzen, Blüten, Früchten nahe kommen wollen, aber gewisse Harmonien nicht erreichen, so daß es eben Wasser bleibt. Es liegt Lust im Aufprall der Wassermassen, wie sie sich fallen lasen und zerspringen, vor Wonne vergehen, indem sie zu unendlich kleinen Einzelheiten werden, wie ein zersplitternder Stein. Die Lust ist gesteigert durch das Begehren, wieder eins zu werden. So liebt das Wasser sich selbst als Ganzes, als geteiltes, als Eins und als Vieles und vor allem seine Bewegungen von und zu diesen Zuständen.


Friedenswille

Sicher sitze ich auf dem Felsenriff.
Jede anstürmende Woge könnte mich
fortspülen, so meine ich.
Es brodelt und schäumt, es grollt.
Der Wellen Wut bricht sich nicht an des
Steines Schärfe.
Weiß sprudelnder Willen flutet über
braunmatte Felsenklüfte.
Der Donner kommt und geht,
Wie wenn das ganze Felsenriff bebt.
So, wie es sich jetzt erhebt,
Hat es der Holländer wohl auch schon erlebt,
Der hier vor acht Generationen sich um die Nova Mundo schlägt.
Die runde Festungsbastion am Nordcap steht heute leer.
Ein langes Eisenrohr im Sand verrät die
europäische Hand,
die sich nach Gütern streckt,
die Lunten glimmen läßt
und Feuer und Verderben, Pest, Tod,
Verzweiflung, Morde bringt.
Kanonen donnerten, ins Meer versanken Elende, Unglückliche,
die Macht, Reichtum, Besitz erlangen wollten.
Wer von ihnen, den Eroberern und Eroberten, sitzt wie der schreibend dichtende Mensch am Meer, das wogende Grollen und weiße Sprühen des unschuldigen Wassers, das Festland, Inseln, Menschen und Boote,
Sklaven und Versklavende trug, zu schauen und zu verstehen:

Friedenswille, Friedenswille
- wer wüßte das nicht?


Ich saß einmal am Strand einer brasilianischen Insel und versetzte mich in das Spiel der Wellen, versank im Rauschen der Brandung und begann in Worten meine Erlebnisse zu notieren:


Freiheitsauftrag

Ein Tag geht zu Ende, eine Welle bricht
nieder,
Wolken warten, goldenes Licht glimmt auf.
Rundes Leuchten, rosa Gischt, schwarzbraune Kantensteine wärmen mich.
Schlaf möchte werden,
zieht in Wasser, Himmel und Erden,
läßt die Sonne dort hinten ersterben.
Das Felsenriff wird zur Reptilienhaut.
Auf dem Panzer des Weltendrachens steht eine einsame Frau.
Der Drache schwimmt im Weltenmeer.
„Wohin läßt du dich treiben?“
fragt das am Horizont suchende Wesen und stampft mit dem Fuß auf.
„Dem neuen Tag entgegen“,
zischt das gutmütige Panzerungetüm.
„Du kannst etwas tun für dich.
Schau auf den Punkt der Meeresgrenze, in dem du träumen willst.“
Aus ihren Augen tritt ein glühender Liebesstrahl.
Der Drache schwimmt dahin, wo das Meer zu leuchten beginnt.
Ein Mann sitzt auf einer warmen Drachenhaut
ganz ins goldene Licht gehüllt.
Auf die leichtesten Atembläschen des Drachens
hat er seine besten Worte geladen.
Diese Wölkchen sammeln sich um die gelbe Lichtquelle.
Die Meeresbrandung zischt:
„Vergiß’ sie nicht!“
Die Farben beginnen sich zu lösen und schweben in den Raum.
Zwei Menschen fühlen sich vereint im Traum, entsagen allem Bösen.

„Nacht bricht herein,
Mensch - du kannst sie befrei’n!“


2. Szene
Bossa Nova Studie 1 Erinnerungen ans Mädchen von Ipanema Rio de Janeiro Garota Girl Beleza Brasileira


Ein sehr armer Reisender, gekleidet in Jeans, T-Shirt und mit Cappy, offensichtlich mit all’ seiner Habe schwer bepackt, betritt den Raum, mühsam sein Zeug schleppend, bleibt stehen, stellt es ab und verzieht das angestrengte Gesicht zu einem Lächeln; er ist vom Land in die Großstadt Rio gereist, um Arbeit zu finden und ein neues Leben zu beginnen ...

Toudo bom?... Toudo bain!
Er hebt seine geballte Hand mit dem vorragenden Daumen, Okay-Geste, nach oben, und bringt seinen Optimismus trotz der verzweifelten Lage zum Ausdruck.
Ich komme vom Land am Meer - es war zu trocken und zu heiß, um dort noch leben zu können. Ich war zu politisch - deshalb wurde meine Familie ermordet: eines Abends waren meine Plantage und meine Hütte einfach abgebrannt... Horchen Sie, so hörte es sich früher an, als der Regen einsetzte. Die Zauberkunst unserer Ur-Einwohner kommt mit ihren Regenrohren gegen die Wetter-Manipulation mit den Eis-Minus-Bakterien der modernen Gen-Technik im Umweltschutz nicht mehr an ...
Er nimmt zwei Regenrohre und läßt es eine Weile hin und her rauschen.
Brasilien - ein Land der Zukunft, was fällt Ihnen dazu ein?
Er wartet ein wenig und nimmt dann seine Gitarre, um einen Bossa Nova zu spielen
 ... Bossa Nova...
Er hört auf und sucht in seinem großen Sack herum; je nach Saison findet er verschiedene Export-Produkte.
Bananen...
Er wirft sie in den Zuschauer-Raum.
... Mangos!
Ebenso.
Advocados!!
Ebenso, seine Stimme wird immer lebhafter.
Kokosnüsse!!!
Diese hält er fest, gibt sie jemanden in die Hand  oder wirft sie sehr vorsichtig!
G o l d r a u s c h !!!!
Noch lauter und aufgeregter. Nun holt er ein Papier mit Blattgold - hauchdünn, wenn möglich - hervor und reicht es weiter ins Publikum.
Vorsicht mit dem hauchdünnen Gold, es ist empfindlich und reagiert auf jede feinste Regung Ihrer Seele und Ihres Atems!
Ke maisch? Was gibt es noch? - Brennende Regenwälder.
Der Mann gibt ein schweres Stück Tropenholz zum Anfassen und Gewichtspüren ins Publikum.
(Er fügt bei Gelegenheit hinzu: Das will ich wieder zurück!)
... – Wegen der Bodenschätze für die Europäer und die USA, hier nehmen Sie, Aluminium so billig und so viel, quadratkilometerweise können Sie das Zeug kaufen!
Er wirft mit Alufolie-Resten, Alu-Deckeln und sich abrollenden Küchenrollen um sich.
Heben Sie das gut auf, Sie können es später noch einmal gut gebrauchen. Na und hier, ein echtes brasilianisches Souvenir mehr: mein Fußball; ich war linker Stürmer. Wollen Sie ein Autogramm? Aber ich bin nicht so berühmt wie meine Kollegen, die es zu was gebracht haben. Ich habe nur Kakao-Bäume und Bananenpalmen, Ananas und Guarana gepflanzt, um den für Fleischviehweiden gerodeten Urwald zu regenerieren... alles vernichtet: Staub und Asche!
Er bläst Kakao-Staub-Pulver ins Publikum; je nach Möglichkeit und in Rücksicht auf Publikumskleidung machen dies auch Helfer von den Seiten und von oben!
Kakao! Kosten Sie, schmecken Sie! - Reicht es Ihnen schon?
Nein, wir haben noch mehr, noch bessere bra-silianische Export-Produkte hier im Sack.
Er wirft Kaffee-Bohnen in die Menge.
Kaffee, braun, wunderbar, kaffeebraun, nein  schokoladenbraun  meine ich - die F r a u e n ! Kennen Sie den neuesten Schlager in Brasilien? Brasilianische Frauen, Ihr seid an der ersten Stelle in der Welt!
Wollen Sie auch eine brasilianische Frau kaufen? Ich habe hier einen Katalog, interessierte Männer können sich nachher diskret an mich wenden ..., nachher ... aber bitte diskret!
Er hebt einen bunten Katalog, den er wie alles übrige aus dem Sack gezogen hat, ein paar Male hoch und winkt damit.
... Ach, was waren das noch für gute alte Zeiten, als berühmte Schönheiten frei und unbelästigt an der Copacabana und in Ipanema in Rio de Janeiro spazieren gehen konnten ... ich erinnere mich noch gerne an sie ... z. B. an das Garota di Ipanema ...
Ab „Ach...“ beginnt er mit dem Gitarren-Vorspiel und singt dann das „Girl from Ipanema“ auf Brasilianisch: „Olha que coisa...
Olha, que coisa mais linda, mais cheia de graca...

An der Stelle im zweiten Refrain „toudo e triste“ wird es plötzlich ganz dunkel (falls ein Ton-Band läuft, wird der Stecker herausgezogen), er unterbricht und ruft entsetzt:

Stromausfall in Rio de Janeiro!
Stromausfall in Rio de Janeiro!
Ein Knall wie ein Pistolenschuß, Schreie, eine Stimme:
Nossa Senhora - der Mann ist tot, erschossen, von einer Kugel getroffen, von draußen durch die Busfenster-Scheibe!
Der Sänger kommentiert, alles noch im Stockdunkeln:
Bleiben Sie ruhig, keinem passiert etwas...
Er springt ganz überraschend ins Publikum!
Wir wollen nur ihr Geld, das ist ein Überfall, her damit, los, wird’s bald!
Er blinkt ein paar Mal mit der Taschenlampe auf, bei Bedarf zeigt er auch eine Schußwaffe oder droht mit dem Buschmesser - je nach dem Grad des Naturalismus kann die Begegnung ernst, sehr ernst für den bedrohten angesprochenen Zuschauer werden, von dem Geld verlangt wird...
Danke, das genügt, schönen Tag noch, Tschau, meine Damen, Tschau, meine Herren ...
Er geht im Dunkeln hinaus, pfeift anerkennend:
900 000 insgesamt, hat sich gelohnt... hat es sich gelohnt?
Zuerst überzeugt und kaltblütig, dann zweifelnd und traurig.

Uraufführung am Lehrerseminar Bremen WIS 1995



3. Szene
Zukunftszivilisation der Toten
Rio de Janeiro Orixa Jemanje


Afrobrasilianische Kultstelle:
Touristen-Gedächtnis für die Kinder von Morgen

Der Mann kehrt im Dunkeln zurück, zündet ein Streichholz und damit eine Kerze an. Nun packt er aus seinem Koffer viele Gegenstände aus, die er zu einem Altar, zu einer afro-brasilianisch-europäischen Kult-Stätte zusammenstellt. Später verteilt er auch ans Publikum Kerzenstummel, die  diese auf ihr Alupapier stellen können.

Die folgende Szene ist kein Spiel, je nach Einstellung und Gesamt-Stimmung sind die Toten tatsächlich anwesend ...

Ja, wir wollen hier jetzt ein Gedächtnis abhalten für unsere Toten, für die in Brasilien, für die in Afrika, in Europa, überall, für die Schuldigen und für die Unschuldigen, für den Touristen, der gerade durch die Kugel getötet wurde.
Ich erzähle Ihnen seine letzten Erinnerungssplitter, seine Lebensgeschichten und Erfahrungen, seine Visionen von heute und von morgen... nehmen Sie Kerzenstummel und zünden Sie sie an, benutzen Sie die Alu-Deckel als Unterlage.
Er gibt Kerzenstummel und Streichhölzer aus und spielt dann Gitarrenmusik zur Einstimmung, Prelude a-Moll von Heitor Villa-Lobos.
Mit dem Nachtbus fahren wir durch die ärmeren Viertel von Rio de Janeiro. An manchen Ecken lodern Feuer, jugendliche Gestalten füttern es mit Papp-Resten und Holzstücken, irgendwelchen Planken. Hier wärmen sich die ausgestoßenen Kinder, die Jungen, die sich in der Bande Familienersatz suchen.
Das unheimliche Flackern gemahnt an Zeiten, die da kommen werden, wenn die Großstädte zusammengebrochen sind. Lagerfeuer auf dem Bürgersteig, welch’ ein Rückfall, welch’ ein Ausblick!
Die zerlumpten Schatten sind ohne Menschenrechte. Leben von Speiseresten; Lernen zu überleben; Heimat ist die Heimatlosigkeit der Straße.
Die Unwürde durch Ungerechtigkeiten, die ich jedem Spießbürger, jedem Kleinkarierten entgegen schreien möchte, brennt in meinem Herzen. Der Fäulnisgeruch der Stadt nagt an ihrer Zuckerhut-Süßigkeit. Kein kindliches Abenteuer wird hier gespielt. Armut, Mangel, Brutalität feiern ihr Leichenfest.
Und die nur  etwas  m e h r  verdienenden Buspassagiere ........ und die  nur  e t w a s  mehr verdienenden Buspassagiere ... und die  n u r  etwas mehr verdienenden Buspassagiere und die  n o c h  besser Verdienenden sorgen sich ein wenig um ihre Brieftasche.
Gelegentlich hält der Bus am Rande von Baracken-Siedlungen und ein Schwarzfahrer springt hinaus in sein Milieu. Kohlenschwarz steht die Nacht und spannt sich wie ein im Stolz verletztes Raubtier.
Die schuldigen  O p f e r  züchten sich selbst eine Tätergeneration von Mördern, Räubern, Berserkern - und nur ganz wenige entkommen der perfiden Zuchtwahl.
Lodernde Flammen - noch auf einen Kreis zentriert, der Wärme gibt, wohin menschliches Lieben der Verstoßung und dem Hassen ausgewichen ist ........................................ 

w i l d  z ü n g e l n d e  F l a m m e n , die das Zentrum verlassen ...

Der Mann zündet verschiedene Paperfetzen oder Zeitungsartikel an und läßt an mehreren Stellen im Raum vorbereitete Spiritus-Flammen aufrasen. Er trommelt auf und mit Alublech-Dosen, schnarrt mit dem Deckelverschluß einer (Nuß)-Dose aus Alu, je nach Publikumsstimmung kann auch ein Satz Dosen verteilt werden mit der Aufforderung:

Wir rufen jetzt mit unserem Trommeln die Zukunft an!
Nach einer geeigneten Zeit berichtet der Erzähler weiter:
... Grauhaarige Alte, deren Jugend die Feuerstätte auf dem Bürgersteig war, errichten Scheiterhaufen in den zerfallenden Ruinen, solange es noch Holzreste dort gibt. Zum Zuckerhut führt keine Drahtseilbahn mehr. Im einst weiß strahlenden Hotel Gloria zernagen Ratten die Matratzen.
Die neue Jugend lebt längst auf dem Land mit Mythen von Feuerstätten auf dem Bürgersteig, dem Anfang der großen Großstadtverbrennung. Ihre Kinder krabbeln im Grün der Felder und  l ä c h e l n  den Giftschlangen zu. Neue Gemeinschaften werden Archäologen an vermutete Orte aussenden, wo unter dem Urwald Betonbrocken, Stahlgerüste und Müllhalden von abenteuerlustigen Jugendlichen gefunden wurden.
Die neuen Gefolgschaften der  f r e i e n  Liebe sprechen vom vergangenen Zeitalter des lieblosen Zwanges und seiner Selbstvernichtung.
Unter den Lager-Feuer-Sträflingen saßen auch die selbstgewählten PRIESTERINNEN und PRIESTER der Zukunftszivilisation.
Meine Hoffnung auf das Wirken dieser Menschen macht meinen Schmerz angesichts ärmlicher Schemen im Feuergeflacker fruchtbar:
Wann wird es sein, daß wir  i h n e n  unsere Schuld abtragen?
Werden sie uns Übersatten Gnade erweisen?
Wird uns Friedensfähigkeit entgegen getragen werden?
Schwankende Schatten wirft das Abbruch-Material-Feuer auf die noch fernen Mauern der Wohlhabenden. Die schußbereiten Wärter dort langweilen sich... noch... sie schlafen ein, und die Wachhunde stimmen ein schauriges Heulkonzert an:

DIE ZEIT DER WÖLFE & HYÄNEN ERTÖNT UNGEBROCHEN!

Der Mann heult zum Schluß wie ein Wolfshund und eine Hyäne.

Uraufführung am Lehrerseminar Bremen WIS 1995

4. Szene
Radio Occulto Brasilia UFO

Der Mann wird wieder nüchtern und holt ein Radiogerät mit Handkurbel. Er dreht den eingebauten Dynamo.

Ich habe einen Freund in der Hochebene von Brasilia; dort, wo sich die New-Age-Szene herumtreibt. Er schenkte mir diese Radiogerät hier, mit ihm kann man Geisterstimmen aus dem Jenseits empfangen. Soll ich es einmal einschalten? Vielleicht meldet sich einer der toten Seelen ...

Er dreht an den Senderwahlknopf der Langwelle auf einem Frequenzbereich, in dem es jault und schwingt. Eine Stimme aus dem Jenseits ertönt plötzlich:

Hier Radio Occulto aus Brasilia ... Kennst du aber auch die Geschichten von den aufgeschnittenen Stein-Herzen, die in der Asche verbrannter Menschen unzerstört übriggeblieben waren? Nein? Dann erzähle ich dir drei wahre Begebenheiten. Du kennst doch unsere schönen Achat-Scheiben?
Dias von Achaten werden eingeblendet und/oder Achatscheiben im Publikum verteilt.
In ihren wunderlichen Gemälden ist wie in einer Geheimsprache einiges aufgezeichnet: Seelengeschichten, Menschheitsereignisse, Natur-Begeben-heiten der Welt-Evolution und irdischen Entwicklung. Studiere sie demnächst und du wirst die verborgene Geschichte von Atlantis und Lemurien erfahren, die von Weisen dort hineingeheimnisst wurde – zum Teil schon vor der Eiszeit und Sintflut!
Nun höre die alten Berichte:
Man öffnete in Persien ein altes Grab, in dessen Leichnams-Asche ein versteinertes Herz lag. Dieses wurde wie eine Achat-Mandel aufgesägt. Darin konnte man eine gemalte Landschaft betrachten, wie sie uns die in Scheiben geschnittenen Achate offenbaren. Es handelte sich um das Grab einer Gefangenen, deren Sehnsucht das Bild einer Landschaft in ihrem Herzen entstehen ließ ...
In der Asche eines verbrannten Mönches entdeckten seine Brüder sein unversehrtes Herz, das sie öffneten. Darin befand sich eine Buddha-Statue aus unbekanntem Material, eine kristallisierte Meditation, ein Kind seines Geistes ... Im Herzen eines anderen kontemplierenden Mönches war die Statue der Göttin Guan-Yin, der weiblichen Gestalt des Bodhisattvas Avalokiteshvara geboren worden. Auch von christlichen Heiligen gibt es Überlieferungen dieser Art.
Gönne dir von nun an das leichte Vergnügen, Zucker- und Salzkristalle und kandisierten Bienenhonig in einem warmen Getränk oder in einer Suppe dankend aufzulösen und den kosmischen Prozeß in der wirbelnden Drehung deines rührenden Löffels darin zu bestaunen.

Die Stimme verschwand im allgemeinen Wellensalat ebenso plötzlich wie sie erschienen war.

Gehen wir, in eine Bar, Cafenzinho trinken mit ganz viel Zucker und einen Cachassa-Schnaps!
Der Mann geht in eine Bar, einen Cafezinho trinken...


5. Szene Salvador de Bahia
Touristen-Flirt-Panne mit Sprachfehler
Salvador de Bahia


Eine Bar.
Kleine Jungs und Mädchen kommen vorbei und wollen aufdringlich alle möglichen Sachen und Süßigkeiten verkaufen. Unser Mann, der Reisende, der ehemalige Bauer trinkt Cafezinho und redet mit einer Frau.


... Bewahre, wehrt sie ab.
Weiter geht es in Bahia. Ich mache eine ganze Reihe von Körperbesuchen mir unbekannter Salvadorianerinnen durch. Mit einem Hamburger Touristen Arm im Arm - frage mich nicht, wie ich den kennengelernt habe, denn es ist zu ulkig - durchstreife ich den Mercado Modello. Mein langes schwarzes Haar ist zu einem Dutt hochgesteckt, die Wange meines dunklen Gesichtes lehnt an seine Schulter. Ich trage ein kostbar verziertes weißes Kleid und eine Krokodilledertasche. Offensichtlich High Society; um den Hals und am Ohr trage ich sogar Goldschmuck. Der starke hohe Mann aus Deutschland neben mir ist ein guter Leibwächter. Ich frage mich, was ich an ihm finde, denn besonders hübsch ist er nicht. Er hat grobe Züge, rosane Haut und farbloses Haar, den Kopf eines Hammerhaies; seine Fischaugen glotzen mich ständig an, als ob er extra aus Europa hierher geflogen wäre, um mich auf der Stelle zu verschlingen. Er wollte, er könnte es. Aber so einfach bin ich nicht zu vernaschen. Er ist ungehobelt. Zum Glück sind die vielen Leute der Kunstgewerbestände da. Daß ich mich gestern am Strand so vergucken konnte. Nun ja, für heute habe ich noch nichts vor. Ein kleiner Stadtbummel mit einem Deutschen ist besser als die x-te Folge der Telenovella Schwarzwaldklinik, die wir als Kulturgut MADE in GERMANY importiert haben.
Mit den paar Worten Englisch, die ich kann, mache ich ihm klar, daß die Verkäufer den Preis zu hoch angesetzt haben. Doch ihm ist es egal. Da er kaum Brasilianisch spricht, zeigt er immer nur auf die oder die Flasche. Es sind die mit buntem Sand gefüllten Glasflaschen, die es ihm angetan haben. Typisches Reise-Souvenir von der Nordküste. Die geduldigen Künstler füllen mühselig Sand-Körnchen für Sand-Körnchen in kleinste und größte durchsichtige Flaschen, und nach und nach entsteht eine Strandlandschaft mit Kokospalmen, Boot, Sanddünen und Sonnenuntergang. Er entscheidet sich für eine mittelgroße - „wegen dem Flugzeug, „because of the aeroplane weight “ erklärt er gewichtig - und schenkt mir ein parfumflacongroßes Gefäß mehr für meine Sammlung daheim, von der er nichts weiß. Die Touristen sind recht einfallslos mit ihren Geschenken. Da ich ihm die ehemalige Sträflingsinsel und den grandiosen Blick über die Altstadt zum Meer hin zeigen will, schiebe ich ihn an den mit bunten Steintrauben, eingerahmten Schmetterlingssammlungen, Intarsientabletts, Büffellederwaren lockenden Händlern vorbei, und mehr als einmal muß ich „Nein Danke“ sagen, um mich der zudringlichen Verkäuferinnen zu erwehren, die mir Stickereien, bunte Zigeunerblusen oder Unterwäsche aufschwätzen.
Auch draußen, außerhalb der Halle, ist es nicht leichter. Die armen Verkäufer kleben wie die Fliegen an uns. Wir fallen anscheinend sofort auf inmitten der Tagelöhner-Kleidung.
Hippies beschwören uns, stellen sich in den Weg: „Nur ein Teil, wenigstens die Pfeife oder den Kugelschreiber! Nur 10000. Ich hab’ heute noch nichts verkauft. Nur 8000. Originale Handarbeit nach alter Indio-Tradition! 6000!“
- Die besagten Gegenstände sind reichlich mit Holzschnitzereien verziert. Motive sind häufig Waldgeister oder afrikanische dunkle Maskengesichtszüge. Mein Kavalier bleibt hart. Da schleppt der Hippie einen großen Dolch mit schwer bestückter Scheide an und zückt diesen vor seiner Brust, daß der Deutsche zwei Schritte zurückweicht und ich möglichst sanft, aber bestimmt, seinen verkaufspsychologischen Trick durchschauend, notlüge: „Danke, wir haben schon einen.“
Das ganze Zeug ist dekadent. Weder glauben die Hippies an Waldgeister und Orixas, noch ist das Holz wirklich Holz. Sie verwenden eine Knetmasse, die schnell und einfach zu verarbeiten ist und die Unkundigen Mahagoni oder Teak vortäuscht. Ein Stand wie der andere. Wenigstens die Berimbaus sind echt.
Am anderen Vorplatz tanzen die Capoeira-Schüler zu ihrem Klang-Rhythmus. Ich schlüpfe in ihn hinein, um zu erfahren, was er gerade denkt. „Der Tanz hier ist enttäuschend, eine Touristen-Show, harmlos, nichts richtig Gefährliches.“
Na warte, du Snob, reagiere ich in mir, war dir der gezückte Dolch nicht genug?
Er erinnert sich an den Kampfring in Sao Paulo auf dem Zentralplatz ... Na gut, ich verstehe jetzt, warum er hier in Bahia schon abgesättigt ist. Er hat schon drei Profikämpfe in Minas, Ribeirao Preto und Sao Paulo selbst mitbekommen. Doch gar nicht so ignorant, wie ich erst meinte, das Bürschchen.
Aber er ist so langweilig, so ernst, so verschlossen und immer nachdenklich. Die Deutschen haben keinen Humor. Da lob’ ich mir den flotten Gringo aus Sao Francisco, der verstand es, zu scherzen. Na ja, vielleicht ist der kühle Norde auch so bedrückt, weil der Fluch des Hitler-Faschismus noch auf ihm lastet.
Friedrich, so heißt mein stiller Begleiter, merkt wohl, daß ich ihm nachsinne und richtet seine hervorquellenden Augen nacheinander auf meinen Mund, mein Brust-Dekolletee, meine vom Kleid betonten Hüften und versucht, in meinem weichmagischen Seelenfenster die Vorhänge beiseite zu ziehen. Doch dafür ist er mir nicht charmant genug, daß ich ihm einen Blick in mein Schlafzimmer gönne.
Er probiert es sehr plump: „Wir können heute abend in meinem Hotel speisen. Dann haben wir es nicht so weit. Ich mag dein schwarzes Haar.“
Den letzten Satz hat er auf Brasilianisch gesagt. Nach dem Wörterbuch einstudiert.
Ich muß lachen, denn es hört sich gar nicht romantisch an, weil es mehr nach Pferd als nach Haar klang. Er hat kein Feingefühl für unsere Sprache. Doch um ihn ein bißchen zu ärgern, zeige ich ihm statt meines Schlafzimmers meinen Pferdestall auf dem Land. Ich stelle mir vor, wie ich mich mit dem Pferdeknecht im Heu geliebt habe und lasse Friedrich unsere wilden Schatten sehen, die das Kerzenlicht auf die Holzwand des Schuppens warf.
Er guckt mich irritiert an, denn er bringt den spöttischen Ausdruck meines Lachens mit dem sinnlichen Funkeln meiner Pupillen nicht zusammen.
Unsicher lenkt er das Gespräch auf die Musik im Hintergrund: „What’s that? This music in the back?“

Er meint die Bänkelsänger am Stand der Vereadore, der Wahlhelfer und politischen Kandidaten. Ihr scheppernd-schrilles Gitarrengezupfe klingt wie Pferdewiehern. Tatsächlich krächzt der eine Graubärtige, als er Friedrich sieht, aus seinem schokobraunen Gesicht mit grauen Falten die witzigen Strophen:
„Pferde, Pferde, Pferde, nichts als Pferde-
Rücken ist so schön auf dieser Erde.
Haare, Haare, Haare, liebt der Mann,
Der es nicht lassen kann.
Frauen, Frauen, Frauen in Brasilien
Sind beileibe keine Lilien.
Willst du, daß dich deutschen Manne Rücken, Rücken, Rücken
Deiner schönen, schönen, schönen Frau entzücken,
Sprich ihr niemals mehr von Haaren, Haaren, Haaren deiner Pferde.
Sonst wirft dich ihr Stuten-Rücken
Stolz zur Erde, Erde, Erde.
Und es küßt dich, statt ihr süßer Mund, Mund, Mund,
Nur ein Eisen-Fuß oval blau-grün und wund, wund, wund.“

Die Umstehenden brachen in schallendes Gelächter aus und musterten Friedrich von oben bis unten.
Da er das Lied nicht verstanden hat, sich nicht wehren kann und ihm sein Blut in den Kopf schießt, wirft er, um nicht ganz schlecht dazustehen und gute Miene zum bösen Spiel, zu machen, einen 10 000 Cruzeiro-Schein in die Sammelkiste.
Ich zwinkere dem Spaßvogel zu und denke bei mir: Danke für Eure Rache. Die fahrenden Sänger und Stegreif-Dichter sind sensible Beobachter, die mit hellsichtigem Schabernack bewaffnet, Situationen wie die geradige, in einem Blinzeln durchschauen und als unbestrafbare Narren sich auf die Seite der Schwachen schlagen.
Der Monolog der Frau endete, als ...




Nachhaltige Sprachgemälde:
Brasilien UNCED 92 ECO
~ Weitere Szenen & Reisebilder von Botucatu (Sao Paulo), Nova Friburgo, Mirantao (Minas G.) über Salvador de Bahia, Jericoacoara bis Altamira/Xingu
~ Von Goldtauchern, Regenwaldimpressionen, Stadt- & Dorferlebnissen, Skorpionsbissen & Faultieren, z.B. die Folgen
 „Belem Beleza Tierrätseln“
„Für Chico Mendes“
„Jaboti & Biodiversität“
„Mangrovenmondidyllen“
„Für Augusto Boal“

(C) 1992, 2002, 2013  by Dirkmarkus Lichtenberger


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